Da stand sie nun. Unbeobachtet und allein gelassen. Von
keinem gewürdigt. Was hatte sie stolze Tagen verbringen dürfen. Als noch Gäste
kamen und Feste gefeiert wurden. Jetzt steht sie nur da. Nur manchmal erinnert
sich der Hausherr an sie. Aber nur, wenn sich Besuch ankündigt. Er würde von sich aus nicht auf den Gedanken
kommen. Und wenn doch. Dann sind es traurige Momente. Er bedarf ihrer, er
bedient sich ihrer, weil dunkle Gedanken ihn durchdringen oder anderen gedacht werden soll. Manchmal wir
sie auch einfach ausgetauscht und steht oder liegt in einer Vitrine oder
Schublade. Dann lebt sie in der Hoffnung. Doch:
Es war einmal eine gelbe, die nach Frühling duftete.
Immer musste sie mit ihrer ganzen Kraft und allein den Raum erfüllen, stets ohne Artgenossinnen. Eines Morgens stand, sie erwachte aus einem kleinen Schlummer, ein
dunkelrote Kräftige neben ihr. Sie wendete ihren angerußten Docht leicht
seitwärts, um besser sehen zu können. Es
war noch eine jungfräuliche Erscheinung, ihr Docht hatte noch kein Feuer
gesehen. Aber jungfräulich? Die Kraft, der Wuchs? So standen sie einige Zeit
nebeneinander. Würde ihre Zweisamkeit gestört oder sogar unterbunden, wenn sie
in der Vitrine vergraben wird oder wird sie sogar entsorgt, weil eine andere
ihren Dienst übernehmen soll? Unruhig und unsichtbar wankend überlegte sie was
zu tun sei. Dann fasste sie Mut und hauchte ein zartes Kerzen-Du. Da sie keiner
Antwort gewahr wurde, jedoch an der Bewegung des anderen Dochts Regung
erblickte, hauchte sie erneut, etwas energischer, sofern man dies von Kerzen
überhaupt sagen konnte. DU? Du weckst mich? Hast du geschlafen? Was macht eine
Kerze wohl, wenn sie nicht brennt? Und vor allem, wenn sie noch nie brannte und
gar nichts weiß? Entschuldigung, ich
wollte nicht stören.
Nun hatte sie der Mut verloren und sie vergrub sich
schüchtern in Verlegenheit. Ihr gelb wurde bleich, was von der anderen wohl
vernommen wurde. Entschuldigung? Wofür? Na ja. Schon gut. Und? Sie nahm allen
Mut zusammen. Weißt du, unser Schicksal ist doch, dass wir immer allein unser
Leben fristen, nur eine brennt und die andere wird ignoriert, weggestellt, abgelegt
oder sogar entsorgt. Heute macht sich ja niemand mehr die Mühe, aus unseren
Resten neues zu formen. Früher da hatten wir ein ewiges Leben. Wie meinst du
das? Ach du bist noch so jung. Als die Menschen selbst aus kleinsten
Kerzenresten neue Kerzen erschufen, waren wir unsterblich, weil wir in jeder Nachfolge
ein Teil waren. Und heute? Da wirft man uns weg.
Nachdenklichkeit erfüllte den Raum. Alles vergeht. Nichts
bleibt.
Was können wir denn dagegen tun? fragte die rotbraune. Nichts
. Nichts? Nichts. Doch. Was? Wir müssen aus unserem Kerzenleben das Beste
machen. Komm doch mal etwas näher. Wie soll ich das machen? Einfach etwas hin
und her schaukeln.
Langsam, kerzenlangsam bewegten sie sich aufeinander zu.
In Dochtnähe sozusagen. Du duftest wie eine Blumenwiese, komplimentierte die
Rote. Und du wie eine kräftige Esskastanie. Und nun? Wir müssen warten. Worauf? Dass eine
von uns entzündet wird. Entzündet, dachte die gelbe, bin ich doch schon, aber
sie hätte es nie sagen wollen. Und dann?
Sie schwiegen, der Hausherr setzte sich an den Tisch,
nahm ein Buch zur Hand und – das Schicksal zeigte sich – zündete die gelbe
Kerze an. Ich mag es, wenn er mich anzündet. Er nimmt Streichholz. Feuerzeuge
sind sehr heiß und verbrennen mir manchmal den Hals. Kommst du noch etwas
näher? Näher geht nicht. Doch, neige deinen Docht etwas zu mir. Und dann? Dann
komme ich dir mit meinem entgegen. Hm? Und wenn du nah genug bist, wird dich meine
Flamme entzünden. Wozu? Wir sind doch beide allein und geben ein kleines Licht.
Wenn wir zusammen brennen wie eine große Flamme, dann ist unser Licht heller
und wärmer, Und wenn es dem Herrn gefällt, dürfen wir immer gemeinsam brennen
und leuchten. Gemeinsam verstehst du?
Das schöne Licht gefiel dem Hausherrn.
Und wenn sie nicht erloschen sind, leuchten sie immer
noch.