Freitag-Nachmittag. Es ist spät. Heute Morgen war Montag. Was lag dazwischen? Nun. Ich spreche mit einer Kollegin, die auch nicht weiß, ob es sich lohnt, den Tag umzuschlagen.
Ich habe es mir abgewöhnt, aus dem Büro zu stürmen und dem Leben hinterher zu hetzen. Ich hole mich nicht ein. Nie. Auf dem Weg zur Straßenbahn, ich nehme mir Zeit dafür, eilen mit Handy am Ohr Planende an mir vorbei. „Bin um…“, „Dann können wir…“, „Heute Abend….“, „Schaffe ich grad…“, „Hast du die Karten…“, Vor dem Eingang…“, „Zehn Minuten später…“, „Ohne uns fangen..“. Alle überholen mich, sollen sie. Meine Ruhe überholen sie nicht, die gehört mir. Sollen sie doch rennen. Sie glauben eben noch. Dumm. Ich laufe auch nicht mehr, wenn es durch‘s Laufen vielleicht noch reichen würde. Die Erfahrung lehrte mich, dass das Laufen keinen Erfolg zeitigt. Hoher Puls und Schweiß und Rücklichter. Ich gönne keinem Fahrer diesen Triumph. Türen zu, grinsen. Manchmal Rechtfertigung durch einen Hinweis auf den Fahrplan, Ordnung, Zucht nur in Gedanken. Nein, ich laufe nicht. Hin und wieder schlendere ich an der stehenden Straßenbahn, meiner, äußerlich unbeteiligt, vorbei. Dann greife ich in die unvermeidliche Ablaufplanung ein. Kurz vor dem Verschließen der Türen drücke ich und steige siegreich ein. Innerlich zeige ich den gestreckten Mittelfinger. Das turnt an. Meistens stehe ich. Ich teste, ob mir jemand einen Platz anbietet. Meistens habe ich Glück. Ich schreibe dies meinem jugendlichen Aussehen zu, weiß aber, dass das Platzmachen für Ältere aus der Mode gekommen ist.
Ich beobachte gern. Frau mit Kind und Kleinkind. Es wirft seinen Schnuller zur Erde. Ein junges Mädchen streitet sich mit ihrem Freund. Mit wem sonst. Ein alter Mann, also einer der älter, viel älter ist als ich, regt sich kopfschüttelnd auf. Eine Kopftuchträgerin. Ein junger Mann kratzt sich im Genitalbereich, zwei Mädchen kichern. Eine Andere erzählt einer Freundin von ihrem Termin beim Frauenarzt. So genau wollte ich das nicht wissen.
Ich stehe auch noch an meiner Haltestelle. Ich lasse alle vor mir aussteigen. Sie hetzen mir den roten Teppich aus, über den ich schreite. Zwei junge Halb- oder Ganzstarke rennen bei Rot über die Ampel. Die Frau von vorhin packt Kindergartenkenntnisse aus. Rot – stehen, grün – gehen. Schau nach links, rechts, geradeaus, dann kommst du immer gut nach Haus. Die Kleine, die große Kleine, merkt unsicher an: Das gildet aber nicht bei ROT, oder? Ich habe es mir schon lange abgewöhnt, bei Rot über eine Ampel zu gehen. Ich komme noch früh genug, an den Ort, an dem ich schlafe. Es liegt mir nichts daran, schnell dort hinzukommen. Warum auch. Es wartet niemand. Tiere sind nicht erlaubt.
Ich habe es mir abgewöhnt, zu warten auf die vor mir liegende Zeit, die auch nur im Kreis läuft. Es gibt kein „Wenn NICHT, dann NEIN, sonst JA“.
Ich sagte es schon, ich hole mich nicht ein und nicht die Zeit. Auch nicht, wenn ich rückwärts laufe.
Ich habe es mir abgewöhnt, abends etwas zu wünschen oder zu wollen, weil Montag Freitag ist.
Der Mundschutz: das unbekannte Wesen
vor 5 Jahren
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