Mittwoch, 24. Februar 2010

Auf sechzig zu

„Morgens stehe ich auf, wider besseres Wissen, und mit zugenähtem Mund.“ schreibt Martin Walser in seiner Erzählung ‚Mein Jenseits’. Er hat den Abschnitt mit der Sechs vor dem Komma bereits hinter sich gelassen. Ich frage mich, wie er das geschafft hat, wo es mir doch so schwer fällt, jeden neuen Jahresring unter meine Haut zu schieben. Freuen soll ich mich, höre ich tröstende Mitmenschen, freuen soll ich mich, dass ich Geburtstag habe. Wie kann ich das und warum sollte ich? Das Älterwerden an sich ist schon wenig erquicklich, stellen sich täglich Neuerungen ein, die wenig mit Lustgewinn in Verbindung gebracht werden können. Das linke Knie schmerzt heute mal wieder, nur wenn ich Treppen steige, es muss der Außenmeniskus sein, Sportlerschicksal. Im linken Fußballen glaube ich eine Nadel zu spüren, wenn ich auftrete, der einseitige Schlendergang, so als hüpfte ein Kind an der Bordsteinkante mit einem Bein auf der Kante und mit einem Bein auf der Straße, wirkt quälend. Ich höre das Getuschel auf dem Gang, laut genug um mitzubekommen, dass man mich wohlwollend mitleidsvoll den Armen nennt. In der Straßenbahn bot mir eine junge Frau ihren Platz an. Vor ein paar Jahren wollte ich mich erschießen, sollte mir diese Wohlgefälligkeit von jemand Jüngerem angeboten werden. Der Mensch überlebt alles. Der übermäßige nächtliche Harndrang, am Tag zeigt sich dieser auch, nur es wird nicht so störend empfunden, verhindert erholsamen Schlaf. Wenn dann noch eine Schlafapnoe oder ein Upper Air Way Syndrom hinzukommen, die die Sauerstoffzufuhr erheblich einschränken, braucht sich niemand zu wundern, wenn der Tag zu lang wird, weil die Nacht zu kurz. Zum halbwegs gesunden Schlaf wird ein Beatmungsgerät angeschlossen, das einen aussehen lassen, als würde man an einem Trockentauchkurs teilnehmen und das alle Uneingeweihten die Arbeit eines Föns vermuten lässt. Mit meinem PSA Wert stehe ich auf Du, so oft wird er bestimmt, um Prostataleiden auszuschließen. Ich fühle einen Stein in der Magengrube, ohne einen solchen verschluckt zu haben. Ein Fett, eine Hülsenfrucht, vielleicht eine Kohlsorte reizen, meine Hinweise darauf, dass ich Einfaches essen muss, Pellkartoffeln, trockene Nudeln mit Butter, ernten unverständige Blicke. Mehr Rücksicht, bitte. Apropos Stein: Die Nieren sollten nicht unerwähnt bleiben. Die Glieder meiner Finger schmerzen. Arthrose. Das ist nicht weiter schlimm, man braucht die Hände ja nur selten. Haben Sie auch Wundsalbe in ihrer Hausapotheke, für in die Nase und hinter das Ohr? Warum sich dort Ablagerungen bilden, weiß der Himmel. So sagt man. Ich bin sicher, der weiß das nicht. Auch nicht, warum nur eine Nasenbahn und nur ein Ohr betroffen sind. Was ich nicht habe, genetisch bedingt, ich habe keine Glatze. Aber wie früher ist das auch nicht mehr. Grau und dünn. Den Sitzapparat möchte ich aus Geschmacksgründen nicht näher unter die Lupe nehmen, aber auch hierfür gibt es Salben. Und über die Sache mit dem Zucker reden wir nicht, das würde den Rahmen sprengen, in dem sich die Industrie mit allerlei Hilfsmitteln, Pillen und Pülverchen breit macht. Vor nicht allzu langer Zeit beabsichtigte ich meinem Körper etwas Gutes zu tun. In einer Apotheke bat ich um ein bekanntes Vitamin-Präparat. Als die hinter dem Tresen stehende Mitarbeiterin, eine Junge, mir vor allen anderen Kunden mitteilte, dass dieses Produkt auch für die Generation 50-plus angeboten würde, fühlte ich mich nackt und schutzlos. Asche auf mein Haupt. Gesichter und Namen, dazugehörige Namen. Fehlanzeige. Die Hirnhälften für Bild- und Begriffserkennung arbeiten nicht mehr deckungsgleich. Ich merke das, wenn ich einen alten Bekannten treffe. ‚Hallo, na wie geht’s, alles in Ordnung?’ Ich habe mich daran gewöhnt, dass man mir, wenn ich höflich nachfrage, ‚Entschuldige, aber ich habe deinen Namen gerade nicht parat, er liegt mir auf der Zunge.’, zulächelt und beruhigend feststellt: ‚So hat das bei mir auch angefangen.’ Danke. Und wann hört das wieder auf? Machen Sie auch Kreuzworträtsel? Dann wissen Sie wovon ich spreche. An manchen Tagen starre ich schwarze Löcher in die Antwortkästchen, ich lasse vergeblich Hirnschmalz fließen und werfe Zeitung und Bleistift in die nächst beste Ecke. Die Brille vergaß ich, sie fliegt mit. Ich sehe noch ganz gut, aber meine Arme gingen beim letzten Warmduschen ein. Ich würde ja den Kopf in den Sand stecken und abwarten. Aber dazu müsste ich mit den Händen ein Loch graben, was wegen der Arthrose schwerlich zu bewerkstelligen sein wird. Nur, weil mir nichts anderes übrig bleibt, sehe ich mit festem Blick meinem Schicksal entgegen und tröste mich damit, dass es Menschen geben soll, die bis achtzig und mehr durchgehalten haben, auch wenn ich mir keine Vorstellungen davon machen möchte, welch weitere Lebensgeiseln mich überfallen werden.

4 Kommentare:

  1. Oh je, wie schlimm! Ich bin irritiert.
    Das ungerechte an der Sache ist, dass die Männer es wesentlich einfacher haben als die Frauen. Die werden mit dem Alter interessanter. Es ist absolut legitim wenn ein 60 jähriger Mann eine (mindestens) 10 Jahre jüngere Frau hat und wenn die Dame zusätzlich attraktiv ist, wird er von anderen Männern dafür sogar bewundert.

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  2. Roland, you do not get older, you just become wiser.
    Happy birthday for yesterday!
    Herzlichen Glückwunsch!

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  3. en lisant ce texte je crois m'entendre penser
    plein de doutes sur l'avenir
    maladie vieillesse peur de l'avenir ect.....
    ou sont nos 20 ans hein roland!!!!!!!

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  4. Lieber Roland,
    positiv denken und Loslassen, lautet das (mein)Motto, denn "Optimisten wandeln auf der Wolke,
    unter der die anderen Trübsal blasen".... Du lebst!Ich jedenfalls freue mich, dass es dich gibt!Es ist wie es ist...nimm´es wahr und lass´es einfach so sein. Das wirkt Wunder.

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