Sonntag, 14. Februar 2010

Der Käfig

Das Fenster zum Käfig muss offen gestanden haben. Damals. Vor langer Zeit. Sie ist mir entflogen. So schnell, dass ich ihr noch nicht einmal hinterher schauen konnte.
Einst entwich mir ein Nymphensittich aus seinem Käfig durch das Fenster. Zweimal sogar. Beim ersten Mal flog er direkt in unsere Scheune, saß auf dem obersten Querbalken unter dem Dach. Ich kletterte zu ihm hinauf, währenddessen rief ich seinen Namen. „Lora, Lora.“ Es beruhigt ihn, den Nymphensittich. Ich muss ‚sie‘ sagen, es war ein Damenvogel. Immer, wenn sie in der Wohnung umherflog und ich seinen Namen rief, „Lora, Lora“, flog sie auf mich zu und setzte sich auf meine Schulter. Das erhoffte ich durch mein Rufen zu erreichen. „Lora, Lora.“ Beim ersten Mal gelang es. Beim zweiten Mal flog sie aus dem Fenster, nicht in die Scheune, in einen Kirschbaum hinter unserem Haus. Mein Rufen half nicht. „Lora, Lora.“ Die Wolkendecke behütete sie nicht, sie fand keine Grenze. Sie hätte eine Bedachung über sich spüren müssen. Sie hörte mich rufen, wie ich sie immer gerufen haben. „Lora, Lora.“ Sie hörte mich und antwortete. „ra, ra.“ In der Weite fand sie keine Orientierung.
So stand auch das Fenster zu meinem Käfig offen. Es muss so gewesen sein, anders kann ich es mir nicht erklären. Wie meine Lora flog sie gen Himmel, orientierungslos, schwach rufend, wo ich denn sei, zirpte sie ängstlich. Ich rief nicht, ich wusste, dass es keinen Sinn hatte. Wenn sie einmal die Tiefe des Himmelsraumes fühlen würde, die unendliche Weite, wenn sie einmal der Enge ihres Daseins entronnen sein würde, dann wusste ich, ein Wiedersehen ist ausgeschlossen. So entflog sie mir. Damals. Vor langer Zeit. So schnell, dass ich ihr noch nicht einmal hinterher schauen konnte, meine Liebe.

1 Kommentar:

  1. Dein Text gefällt mir, da er sehr gefühlsvoll geschrieben ist. Besonders das Ende hat mir gefallen, weil es mir Raum für meine eigenen Gedanken gibt.

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